Porträt von Jens Deltrap in einem grauen Anzug vor dem Hintergrund einer Fertigungshalle
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„Wer in Südamerika erfolgreich sein will, muss flexibel sein“

 

Was bedeutet es, KSB in einer Weltregion zu führen, in der politische Umbrüche, Inflation und Stromausfälle zum Alltag gehören – und in der gleichzeitig enorme Chancen warten? Im Interview spricht Jens Deltrap, Leiter der Region Süd- und Mittelamerika, darüber, warum Brasilien anders tickt als der Rest des Kontinents und weshalb Flexibilität der Schlüssel zum Erfolg in Südamerika ist.

Stream of Stories: Sie haben vor zehn Jahren Ihre Aufgabe als Leiter der Region Süd- und Mittelamerika angetreten. Was waren Ihre ersten Eindrücke, als Sie dort eintrafen?

Jens Deltrap: Schon damals war die Region nicht mehr ganz neu für mich. Ich war bereits als Student zwei Monate lang durch Südamerika gereist. Die unheimliche Dynamik und das Durcheinander in der Region haben mich immer fasziniert.

Auf der einen Seite gibt es viele Herausforderungen: Armut, Kriminalität, Korruption, instabile Regierung und Inflation. Auf der anderen Seite gibt es auch sehr viele Chancen. Will man zum Beispiel ein Haus bauen, gibt es hier noch Grundstücke für einen guten Preis und wenig Bauvorschriften. Dieselben Möglichkeiten bieten sich auch in der Wirtschaft. Als europäisches Unternehmen ist man mit einer Innovation oft der Erste im Markt und kann auffallen. Es ist der Wilde Westen unserer Zeit – das letzte Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Zudem hat es mir die Lebensweise der Menschen hier angetan. Sie sind unheimlich gesellig und es ist einfach, Kontakt herzustellen. Ich könnte jedes Wochenende bei einem „churrasco“ sein, einem Treffen mit Familie und Freunden zum Grillen am Wochenende, entweder zu Hause oder am Strand. Man fühlt sich hier einfach schnell wohl – jedenfalls ich.

Wie unterscheidet sich das Management eines Unternehmens in Südamerika von dem einer europäischen Firma? 

Es gibt viele geschäftliche Möglichkeiten, aber auch ständige Krisen und Herausforderungen. Hier kann man keine langfristigen Pläne machen, sondern man muss mit der Welle mitreiten – und ganz schnell reagieren, wenn sie anders bricht, als man es erwartet hat. Dieses schnelllebige und flexible Arbeiten macht mir unheimlich viel Spaß. Zum Beispiel gab es im letzten Jahr in Ecuador nur noch vier Stunden am Tag Strom, weil in der Trockenzeit Wasserkraftwerke abgestellt werden mussten. Das muss man sich mal vorstellen, dass man eine Firma führen muss, mit einer Servicewerkstatt, mit Mitarbeitern im Innen- und Außendienst und man hat nur vier Stunden Energie am Tag!

Das Arbeiten in Europa ist da eher langweilig: Man geht jeden Tag ins Büro und weiß, was passieren wird. Gibt es dann doch eine Krise, sind alle im Stress und überfordert. Hier dagegen wachen die Menschen jeden Tag mit einer neuen Krise auf – sei es eine neue Regierung, eine Revolution oder eine Währungsabwertung. Um all diese Herausforderungen zu bewältigen, brauchen sie Kreativität, Flexibilität und Resilienz. Ich finde, die Menschen in dieser Region sind unglaublich innovativ, enorm kreativ und extrem schnell. Flexibilität, Tempo und Einfallsreichtum – das ist es, was die Menschen in Südamerika auszeichnet.

Wurzeln in Holland, Herz in Südamerika: Jens Deltrap

Jens Deltrap stammt ursprünglich aus den Niederlanden. Seit zehn Jahren ist er Leiter der Region Süd- und Mittelamerika bei KSB sowie Präsident von KSB Brasilien und lebt und arbeitet in São Paulo. Der 60-Jährige bringt internationale Erfahrung mit: Bevor er nach Brasilien kam, arbeitete er jeweils drei Jahre lang in Italien und in den USA. In Südamerika fasziniert ihn besonders die Dynamik der Region – wirtschaftlich wie kulturell. Die Menschen, das Lebensgefühl und die Herausforderungen des Alltags haben ihn nachhaltig geprägt. Im kommenden Jahr steht seine Pensionierung an, aber einen traditionellen Ruhestand plant er nicht. Stattdessen wird er zwischen Europa und Südamerika pendeln.

Porträt von Jens Deltrap in einem Bürostuhl sitzend
Können Sie uns einen kurzen Überblick über Ihren Markt geben? 
Wir haben drei Niederlassungen, die zusammen ungefähr 80 bis 85 Prozent des Umsatzes in Südamerika ausmachen: Brasilien, Chile und Argentinien. Allein die Hälfte des Volumens stammt dabei aus Brasilien. Diese drei Standorte sind schon sehr stark entwickelt und sehr, sehr tief in den Markt integriert. Die jüngeren Niederlassungen sind Peru, Kolumbien, Ecuador, Panama und Bolivien. Diese Standorte sind natürlich noch kleiner, mit mehr Fokus auf einzelne Marktsegmente. Man fängt ja nicht in allem gleichzeitig an.
Der Markt in Südamerika wird von Grundgüterindustrien dominiert. Es gibt drei bestimmende Branchen: Bergbau, Öl und Gas sowie Landwirtschaft, also Fleisch, Sojabohnen und Getreide. Für alle drei ist KSB mit seinem Portfolio sehr gut aufgestellt. Unter den Ländern sticht Brasilien hervor, weil es flächenmäßig so groß und zudem wirtschaftsstark ist. Brasilien unterscheidet sich von den anderen Ländern, indem es bei der Wertschöpfung über die Produktion von Rohstoffen hinausgeht. Es hat eine riesige Fertigungsindustrie. Das kommt auch daher, dass es ein sehr geschlossenes Land ist, das eine stark protektionistische Handelspolitik betreibt. Fast alles wird lokal produziert, es wird kaum aus dem Ausland importiert.
Das führt auch dazu, dass unsere Konkurrenten hier ganz andere sind als im Rest der Welt. Es gibt hier lokale Unternehmen, die schon lange am Markt sind, hier ihre eigene Produktion haben und die dieses flexible Spiel der Region sehr gut spielen. Wir als KSB sind als eines der wenigen internationalen Unternehmen in der Lage gewesen, dieses Spiel besser zu spielen als viele andere – und das zeigt sich in den Ergebnissen.
„Flexibilität, Tempo und Einfallsreichtum – das ist es, was die Menschen in Südamerika auszeichnet.“
Jens Deltrap
Porträt von Jens Deltrap
KSB hat sich in Südamerika in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Woran hat das gelegen?
Das stimmt, wir haben unseren Gewinn in zehn Jahren fast verdreifacht. Zurzeit liegen wir mit der Region bei 17 Prozent pro Jahr. Zu diesem Ergebnis haben mehrere Maßnahmen geführt. Zunächst haben wir die Produktion komplett umgekrempelt. Da es hier viele Importbeschränkungen gibt, ist es unheimlich wichtig, so viel wie möglich lokal zu produzieren. Daher holen wir 70 bis 80 Prozent unserer Produkte aus der Region.
Wir haben die Produktlinien effizienter auf unsere Produktionsstandorte verteilt, Lean Manufacturing eingeführt und die Produktion optimiert und professionalisiert. Dabei haben wir stark in neue Maschinen investiert. Wenn Sie jetzt hier in die Werke in Brasilien hineingucken, dann ist das auf dem Level wie Europa. Und dann ist es möglich, das Produktionsvolumen mit derselben Zahl der Leute zu verdoppeln.
Dadurch konnten wir noch aggressiver in den Markt rein. Wir haben sehr stark auf den Verkauf gesetzt und waren flexibel bei den Preisen, um keinen Auftrag zu verlieren. Das heißt nicht, dass wir Preise gesenkt haben, sondern dass wir Preise weniger erhöht haben. Wenn es eine Inflation von 15 Prozent gab, haben wir zum Beispiel nur acht Prozent erhöht. Dann explodieren die Verkäufe natürlich.
Gibt es wichtige Trends in der Region, die wir im Auge behalten müssen?
Trends sind etwas für Leute, die sehr langfristig planen. Das fällt uns in Südamerika aufgrund der Dynamik hier schwer. Doch ein globaler Trend hat uns in Südamerika in den letzten Jahren sehr geholfen: das Chaos in den internationalen Handelsbeziehungen. Da Südamerika Basisprodukte wie Öl, Gas, Lebensmittel, Metalle und Erz exportiert, profitiert es oft, wenn es Krieg, Sanktionen oder Handelsbeschränkungen in der Welt gibt. Die Länder in Südamerika positionieren sich neutral und machen mit allen Geschäfte: ob USA, EU oder China. Wenn irgendwo Handelsbeziehungen zerbrechen, können die Südamerikaner einspringen und übernehmen. Durch den Krieg in der Ukraine stieg zum Beispiel die Nachfrage nach Getreide aus Brasilien und aus Argentinien. Zurzeit boomen Soja und Stahl in Brasilien, weil die Amerikaner und Chinesen nicht mehr liefern. KSB hat als wichtiger Lieferant der Grundgüterindustrien auch davon profitiert.
Sie gehen bald in Rente. Haben Sie einen Tipp für Ihren Nachfolger? 
Also ich würde sagen: „Bleibe flexibel.“ Flexibilität ist unheimlich wichtig. Und den richtigen Weg innerhalb der Strukturen einer großen, erfolgreichen und globalen Firma zu finden, die automatisch eine gewisse Inflexibilität mit sich bringt. Findet man diesen nicht, dann verliert man die Flexibilität und wird rechts und links durch die lokale Konkurrenz überholt.
Haben Sie schon Pläne für den Ruhestand?
Meine Frau und ich wollen einen Teil des Jahres in Europa verbringen und einen Teil in Südamerika. Diese Dynamik, dieses konstante Durcheinander, das würde ich unheimlich vermissen, wenn ich jetzt in Europa in eine traditionelle Rente gehen würde. Und ich möchte noch vieles privat sehen und machen. Aber wenn Sie mich fragen, was genau ich denn machen möchte, dann kann ich nur sagen: „Ja, das müssen wir mal gucken.“ Ich bin zu sehr von Südamerika geprägt, um ihnen langfristige Pläne zu nennen. Kann sein, dass wir in fünf Jahren noch hier sind. Kann sein, dass wir dann in Belize wohnen. Oder in Italien. Aber sehr traditionell wird es nicht sein. Da würde ich einschlafen!

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